13.09.2014

Der Böse Wolf

Heute lasse ich den Bösen Wolf(gang) von der Leine!

Er hat's auf große Kinder abgesehen und so kratzt er sich eine Laus aus dem Pelz und läuft anschließend geschwind zur Bastelstube GAIA, um dort mit geiferndem Maul mitten in die Jahreshauptversammlung der Historiker zu platzen, die gerade dabei sind, die Geschichtsbücher neu zu schreiben. Sie sitzen alle um eine 2 m hohe Säule, die mit Wasser gefüllt ist und in der sich runde Walzen immer auf und ab bewegen.

Der Böse Wolf ist heute ganz besonders böse. Normalerweise frisst er ja am liebsten Techniker, die Perpetuum Mobiles bauen. Aber heute hat er schon am frühen Morgen etwas geraucht, und das hat seinen Geschmackssinn total verwirrt. Er hat plötzlich Lust auf alles, was in irgendeiner Form elektrisch ist. Er sieht da all diese Historiker sitzen, die eifrig an ihren Geschichtsbüchern schreiben, die Titel tragen wie OVERUNITY! oder Der Tag, an dem die Physik einen Purzelbaum schlug. Sie nehmen kaum Notiz von ihm, denn schließlich tagt ja hier der erlauchteste und exklusivste Zirkel aller Zeiten. Solche honorigen Herren scheren sich nicht um einen Bösen, zottigen Wolf ...

Der Böse Wolf nähert sich dem 2 m hohen Allerheiligsten und reißt mit einer raschen Bewegung ein Kabel herunter. Ein erster Aufschrei aus der Runde: „Heeeeh, weg da! Pfoten weg!!!“ Doch der Böse Wolf wäre nicht der Böse Wolf, wenn er sich dadurch aufhalten ließe. Er fletscht seine Zähne, packt mit seinen Pranken den Kasten mit dem Frequenzumrichter und wirft ihn durchs offene Fenster hinaus. Jetzt bricht ein fürchterliches Geschrei los, Stühle fallen um, Papier fliegt zu Boden, Fäuste werden geballt. Doch der Böse Wolf wütet weiter. Der Generator ist sein nächstes Opfer. Mit einer Eisenstange drischt er auf ihn ein, fetzt die Anschlusskabel herunter. Messgeräte für Gleichstrom, für Wechselspannung, für Wirk- und Blindleistung fliegen gegen die Wand, Oszilloskope und Frequenzmesser zerbersten und zerbröseln.

Kabel um Kabel, Draht um Draht wird weggeschmissen, jedes Gramm Kupfer wird entfernt.

Niemand traut sich jetzt noch einzuschreiten. Viel zu fürchterlich ist sein Auftritt.

Und seltsam – als alles, was mit Kabeln, Elektronik und Strom zu hatte, weg ist, hört er auf zu wüten und wird ganz plötzlich lammfromm.

Es ist so, als wäre die Sonne wieder hinter einer finsteren, schwarzen Wolke hervorgekommen, aus der es gerade noch gedonnert und geblitzt hat.

Er lächelt in die Runde und sagt mit einer theatralischen Geste zu den versammelten Historikern:

„Weinet nicht! All diesen Mist habt ihr nie gebraucht!“

Und dann beginnt er vor ihren staunenden Augen, die Achse, an welche vorher der Generator angeschlossen war, dessen Trümmer noch am Boden verstreut liegen, mit einer gewöhnlichen Luftpumpe zu verbinden. Nur mit einer rein mechanischen Luftpumpe ohne Motor. Kein einziges Mikroampere ist mehr vorhanden, kein Millivolt, nicht der Schein einer elektrischen Leistung, keine Batterie, kein Motor, keinerlei Kupfer.

Die Pumpe presst über einen gewöhnlichen Schlauch die Luft dort rein, wo sie auch bisher reingeblasen wurde. Angetrieben wird sie direkt von dem Mechanismus, der sich im Wasser ständig auf und ab bewegt.

Ihr kennt das Bild bereits, das der Böse Wolf gezeichnet hat. Da war nie ein Generator eingezeichnet ...

Das Allerheiligste rülpst Luft aus sich heraus, die es sich selbst anschließend unten wieder hineinschiebt.

Es gurgelt und rülpst und furzt alles wieder in sich selbst hinein und oben wieder hinaus und unten wieder hinein und oben wieder hinaus und unten ... so bewegt und dreht sich dieser Mechanismus.

Der Böse Wolf grinst jetzt sehr(!) spöttisch. Wild flackern seine Augen, als er die Historiker fixiert. All ihre Messgeräte und Protokolle und Formeln und Berechnungen liegen in Trümmern.

Das Allerheiligste läuft jetzt mit einem viel besseren Wirkungsgrad als je zuvor. Denn all die schönen elektrischen Spielzeuge sind ziemlich warm geworden. Und all diese Wärme, die bisher so sinnlos verbraucht worden ist, kann jetzt zusätzlich für seinen wilden Veitstanz verwendet werden.

Reine Mechanik ist nur noch am Werk, pure, reine Mechanik. Die ersten Historiker beginnen sich ihre schütteren Köpfe zu kratzen.

Diese vielen Stromkreisläufe – waren die etwa alle überflüssig?

Gefährlich glimmt das rechte Auge des Bösen Wolfs. Das linke ist etwas zugekniffen und man sieht nicht so recht, ob es lacht oder weint.

Wie lange wird es wohl von selber laufen, das Teufelsrad?

Wie lange werden die eigenen Abgase den Antrieb dafür liefern, dass es sich wieder selber antreiben kann?

Der Böse Wolf interessiert sich nicht dafür. Er knurrt nur: „Denkt darüber nach!“

Und als er zur Tür hinausgeht, sagt er noch: „Ich komme wieder!“


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